Werk und Bühne

Franziska - Ein modernes Mysterium in fünf Akten (1911)

„Eine Titanenfaust war bei diesem ‚modernen Mysterium in fünf Akten' am Werk und griff mit selten erschauter Kühnheit nach dem Schatten des Olympiers Goethe. Und es ist wirklich, als ob tiefste leidenschaftlichste Sehnsucht eines in die Finsternis verbannten Titanen aus diesen Versen, dieser bunten Schau de Begebnisse aufflammte und die Fackel, einem Brande gleich, in den Himmel des Geruhigen schleuderte. [...]
Wie Frank Wedekind selbst den Veit Kunz spielte, war nicht mehr Spiel eines Mimen, war erschütternde Nacktheit einer zerrissenen Seele. Niemals sah ich ihn so groß als beim Fall dieses neuen Luzifer. Daß Tilli Wedekind nicht den Wuchs für die überragende Franziska hat, weiß man. Es ist aber immerhin ein bewunderswertes Talent, in jeder Szene aufs neue durch schönes Aussehen und feinfühligsten Takt für die Klippen der schwierigen Rolle zu reizen. Direktor Robert führte die Regie. Er gab einzelne Szenen (in einem geschmackvollen Rahmen von Leo Pasetti) glänzend. Für andere fehlte ihm bei dem figurenreichen Drama das geeignete Schauspielerpersonal. [...]
Vieles wird man über dieses Drama noch zu sagen haben und nicht wenig dagegen. Aber es bleibt eine imponierende Größe der Konzeption, ein mutiges Beginnen, das auch im Vollenden nicht minder gereifte Kraft als Mut verrät."
(Joachim Friedenthal: Wedekinds "Franziska". Berliner Tageblatt, 3.12.1912)
Zur Uraufführung an den Kammerspielen, München, 30.11.1912. Regie: Eugen Robert

„‚Franziska' ist Wedekinds reichstes und tiefstes, in der Konzeption  kühnstes und im ganzen Wurf genialstes Werk. [...]
Herr Direktor Robert soll das große Verdienst ungeschmälert bleiben, daß er es gewagt hat, dieses großartige Werk aufzuführen, und so aufzuführen, daß - trotz manchen Schwächen der Regie - ein sehr verwöhntes Publikum dreiundeinehalbe Stunde gespannt und ergriffen teilnahm und widerspruchslosBeifall spendete. An dem großen Erfolg, den zu konstatieren mit freudigem Stolz erfüllt, hatten die Darsteller wesentlichen Anteil, in erster Linie Frank Wedekind selbst als Veit Kunz. Ich habe ihn nie ausgezeichneter gesehen. Mit jedem Wort und mit jeder Geste faszinierend. Ein großer Schauspieler? Ich weiß es nicht. Aber eine überragende Persönlichkeit. Frau Tilly Wedekind hat den wunderschönen Takt, als Schauspielerin nie mehr zu wollen, als sie kann, und bei der tiefen Einfühlung in die Rolle der Franziska gelang ihr die Bewältigung der großen Aufgabe besser, als schauspielerische Routine es ihr je ermöglicht hätte."
(Erich Mühsam: Franziska. Die Schaubühne 8, 1912, S. 664 u. S. 667f.)
Zur Uraufführung an den Kammerspielen, München, 30.11.1912. Regie: Eugen Robert.

„Die ein wenig gespenstische Originalität dieses Bühnenwerkes, das - bald grotesk, bald heilig, bald Marionettenspiel, bald Debatte - die Plastik des wahrhaftigen Theaters nirgends anstrebt, sondern sich mit dessen schmächtigstem haut- relief begnügt, hat das Publikum hier [...] durchaus nicht in Verlegenheit gebracht. Der geistige und poetische Kredit Frank Wedekinds ist mit Fug so groß, daß man bei ihm auch das als Wert empfindet, was man als Wert nicht erkennt. 'Franziska' ist eine teils kalte, teils warme, tiefsinnige und witzige, subtile und derbe Auseinandersetzung mit vielerlei Problematischem, das die moderne Seele bewegt. Die Spezialthemen Wedekindschen Lebens, Dichtens und Leidens stehen naturgemäß im Vordergrund dieser manchmal ergreifenden Diskussionen (mit Bühnenstaffage): Das Weib und die Möglichkeiten seiner Verdammnis und Erlösung durch den Mann, gegen den Mann, ohne den Mann, mit dem Mann; Lüge und Unreinheit einer durch Pfaffen, Zeitungen, Polizisten, Sittengesetze und Pöbel behüteten Kultur; das Glück der Kunst identisch mit der Kunst des Glücks; das heilige Trio Freiheit, Wahrheit, Nacktheit!"
(Alfred Polgar: Wiener Premieren. Die Schaubühne 9, 1913, S. 638)

Gastspiel der Münchener Kammerspiel an der Deutschen Volksbühne, Wien, 6.6.1913. Regie: Eugen Robert.
"Wie wilde Hornissen toben sich in diesem Mystifikationsdrama noch einmal alle Ideen Wedekinds aus; seine unvergleichlichen Bocksprünge aus allen Oberwelten des Geistes in die Unterwelten der Triebe, die grelle Diskussion über verschwiegene Angelegenheiten und die sonst keinem Zeitgenossen zur Verfügung stehende Kraft der Assoziation, die aus unserm Kulturchaos aller Elemente sich bemächtigt, die Fähigkeit, in Sekunden das Leben in seiner krassesten und größten Geste zu geben und schon als Stimmungsmörder hinter ihm zu stehen; das gesteigerte Spiel der Ironie, die den eigenen Tiefsinn durchlöchert und in Frage stellt; die Skurrilität des Lebens, rücksichtslos gesehen: Diese Elemente Frank Wedekinds stecken alle in dem Mysterium [...].
Frau Tilly Wedekind hat mit vielen Reizen den faustischen Kursus von Franziskas Dasein absolviert, nicht bloß die Garderobe aufs fleißigste gewechselt, sondern auch die seelischen Nuancen ihrer Rolle disponibel gemacht. An Frank Wedekinds Veit Kunz ergriff vor allem der blutige Ernst, mit dem er den Katechismus seines Räsoneurs dozierte, um dann schließlich den menschlichen Zusammenbruch des Sternelenkers innerlich überzeugt zu gestalten."
(Eduard Korrody: Pfauentheater: "Franziska“ von Frank Wedekind (27. Sept.). Neue Zürcher Zeitung, 28.9.1917)
Zur Inszenierung am Pfauentheater, Zürich, 27.9.1917. Regie: Frank Wedekind

„Frau Tilla Durieux, eine außerordentliche Franziska [...]: die geistige Kraft des Stückes, vertreten durch eine geistige Schauspielkunst, die, über alle Mittel des Körpers souverän verfügend, die ungeheure Energie der Wedekindschen Dialektik ausdrückt. Frau Durieux' Becheidenheit gestattet ihr nicht, zu sagen, daß sie die einzige ist, die hier sprechen kann, die das Wort wie einen Blitz führt, die es nicht nur auf der Zunge, sondern im Auge so gut wie in den Beinen hat. Der Text dieses Mysteriums ist in Wahrheit so wenig wie der einer Oper verstanden worden. der Text war nur ein Ungefähr, aber alles andere war sehr deutlich. Zunächst die Dekoration von Karlheinz Martin, ein Gerüst von Plattform mit Treppen, eine Konstruktion, die im wahrsten Sinne des Wortes das Stück trägt, die auf alle Passivität gemalten Lebens verzichtet, um sehr tätig mitspielen zu können. [...] Martin arbeitet mit Jazzband, mit Reklamebeleuchtung, und ein ganzer Zirkus mit allen möglichen Exzentriks scheint dauernd aufgeboten, gewiß in einer geistreichen Mechanik, die das Publikum unterhält und mindestens von sich überzeugt. Dazu gibt Martin einige Aufzüge von Tänzerinnen, die wenig anhaben, und in dem Schauspiel am Hofe eine Venus, die bis auf eine geringe Andeutung von Feigenblatt nur mit ihrer eigenen Schönheit bekleidet ist. Ich halte es für einen großen Fortschritt, daß das Publikum sich auf sehr anständige Weise dem Eindruck der Nacktheit unterwarf; wir sind auf dem Wege, uns neue Unbefangenheit zu erwerben. [...] Ich habe eine ingeniöse Martinsche Inszenierung gesehen, eine Auffassung des Regisseurs, aber nicht das Mysterium von Wedekind."
(Arthur Eloesser. Die Glocke 11, 1925, Nr. 7, S. 217)
Ensemble-Gastspiel des Raimund Theaters Wien am Hebbel-Theater, Berlin, 3.4.1925. Regie: Karlheinz Martin.