„Wedekind siegte. Er bringt einen neuen Humor, lebenskennerisch, seltsam und tief. Er malt die Welt in leiser absonderlicher Verzerrung; doch ihr echtes Wesen strahlt heraus. Er verrückt unmerkbar die Linien; aber die Gestalten sind real. Und wenn sie durcheinanderschießen; wenn sie eine ulkige Beleuchtung in tragischen Verhältnissen zeigen: dann wird das Spiel dieses dunkeln, komischen und erbarmungslosen Lebens als ein Spiel bewußt. [...]
Die Grundstimmung seines Humors ist: grotesker Ernst. Aus dem Ernst heraus beginnt ein Lachen, das immer stärker wird: bis man bloß noch zuckt. Mit Ernst behandelt er dramatisch die verwunderlichsten Situationen. Man stirbt; in Lachkrämpfen. Er läßt das Fürchterlichste ruhig geschehen und bleibt ruhig, während wir sterben. Die Tragik des Lebens erscheint wie in einem Bänkelsang. Aber es ist doch Tragik. Man hat vor diesem sonderbaren Mann das Gefühl: er steht außerhalb der menschlichen Gesellschaft. Das ist das Revolutionäre an Wedekind.
[...] Unter den humorhaften Dichtern in Deutschland ist Wedekind heut der Erste.“
(Alfred Kerr: Theater. Frank Wedekind: „Der Kammersänger“ [...]. Secessionsbühne, Neues Theater, 10. Dezember [1899]. Die Nation 17, 1899/1900, S. 155f.)“
Zur Uraufführung durch die Sezessionsbühne am Neuen Theater, Berlin, 10.12.1899. Regie: Martin Zickel.
„Offenbar sagt uns Wedekind als Darsteller seines ‚Kammersängers‘ ganz etwas anderes, sehr viel Ernsteres, Wichtiges, Tieferes, als was die Schauspieler in seiner Komödie zu lesen vermochten. Diese nahm am Montag ein ganz anderes strenges Gesicht an. Wenn den Schauspielern die Komödie zu einer Posse und zu einer amüsanten fröhlichen Theaterunterhaltung wird, so holt der Dichter eine Tragödie der Menschheit heraus. Man muß das Wort Tragödie nicht nur ästhetisch fassen. Nicht wie ein Dichter, nicht wie ein Schauspieler steht Frank Wedekind auf der Bühne, sondern wie ein Kathedermensch; er spielt den 'Kammersänger' nicht, sondern er spricht, er doziert ihn, er selber deckt das im letzten Grunde unkünstlerisch-unsinnliche, abstrakt-logische, rein vernünftige und lehrhafte Wesen seiner Kunst zu voller Klarheit auf. Jene Natur der Satire, die Moral und Didaxis ist und unter deren zersetzendem Verstand gerade das Künstlerische erstickt und abstirbt, lebt als das Mächtigste in ihm. Weniger ein lachender als ein hassender Philosoph stand auf der Bühne.[...]
Als Meisterwerk einer großen, wilden Juvenalischen Satire, einer Satire ohne Lächeln und Witz habe ich erst am Montag die Wedekindsche Komödie durch das Spiel des Dichters selbst schätzen gelernt.“
(Julius Hart: Frank Wedekind im Kleinen Theater. - Der Tag (Berlin), 12.6.1907)
Zur Inszenierung am Kleinen Theater, Berlin, 10.6.1907. Leitung: Victor Barnowsky.
Die erste „Aufführung des ‚Kammersängers‘ im Königl. Schauspielhause zu Dresden ist [...] mit spontanem, außergewöhnlich herzlichem und oft wiederholtem Beifall quittiert worden. Noch erfreulicher als dies laute äußere Zeichen ist: Wedekinds Ethik wurde verstanden und nach Gebühr gewürdigt. Die komischen Elemente der Tragikomödie übten ihren Reiz aus, ohne daß von dem tiefen Ernst des Dramas das Kleinste verloren ging. [...]
Das war etwas andres, als ein billiges Pasquill auf den bornierten Egoismus der kleinen Gattung Heldentenöre. Der K.K. Kammersänger Gerardo ist ja auch so viel mehr. Eine der prachtvollen, ungezähmten europäischen Kulturbestien des Tierbändigers, die er uns im Prolog zum 'Erdgeist' einst aufzählte. [...]
Die Tragikomödie von dem freiwilligen Galeerensklaven des Kontraktes [...] ist hier völlig zu ihrem Recht gekommen. [...]
Ich glaube nicht, daß der Kammersänger je eine so starke und treue Wiedergabe gefunden hat.“
(Julius Ferdinand Wollf: Der Kammersänger (1913). In: Ders., Theater. Aus zehn Dresdner Schauspieljahren. Berlin o.J., S. 204ff.)
Zur Inszenierung am Königlichen Schauspielhaus Dresden, 30.5.1913. Leitung: Graf Seebach.