„Frank Wedekind ist in Berlin durchgefallen. Die Premierenrotte, die gestern und vorgestern den elendsten Theaterhandwerkern dankerfüllt zugejauchzt hat, hat ihn ausgelacht, weil sie ihn buchstäblich nahm, weil sie für Unvermögen, für unfreiwillige Komik hielt, was feinstes Raffinement und hohnvoller Zynismus ist. Sie haben wirklich den Maßstab toter Schablone und dürrer Vernünftelei an ein Werk gelegt, das dem Haß gegen die unveränderte, niemals wechselnde Einförmigkeit der dramatischen Formen seine künstlerische Gestalt dankt und dem zersetzenden Geist eines Menschen entstammt, dem es innerstes Bedürfnis ist, mit grinsendem Humor das Weltspießertum zu verspotten. Die stets nur sich, ihre eigne ärmliche Existenz lebenswahr [...] auf den Brettern sehen wollen, [...] stehen fassungslos und schnell zu rohem Spott geneigt vor dem neuen Bemühen eines Dichters, dramatische Karikaturen zu schaffen, Figuren, deren Umrisse durch Übertreibung und Unterstreichung der wesentlichen Züge verzerrt sind, deren Gesamteindruck der der Fratzenhaftigkeit sein soll. [...] Im Residenz-Theater aber sahen wir nur die plumpen Spektakelkünste einer Provinzregie, und, in der Hauptsache, die Stümpereien ahnungsloser Mimen, die zum Teil das Memorieren überflüssig gefunden hatten - und Frank Wedekind mußte es büßen.“
(Siegfried Jacobsohn: Frank Wedekind. Der Marquis von Keith. Welt am Montag (Berlin), 14.10.1901. - Zit.n.: Ders., Jahre der Bühne. Theaterkritische Schriften. Hrsg. v. Walther Karsch unter Mitarb. v. Gerhart Göhler. Hamburg 1965, S. 11f.)
Zur Uraufführung am Residenztheater, Berlin, 11.10.1901. Regie: Martin Zickel.
„Wedekinds verrufener ‚Marquis von Keith‘ [...], der in München und in Berlin mit solcher Wut verhöhnt worden ist, hat gestern hier einen starken, unbestrittenen, von Akt zu Akt immer heftigeren, zuletzt brausenden und tosenden Erfolg gehabt. [...] Hier hat er es übrigens Jarno zu verdanken, dem Regisseur und dem Schauspieler. Ich denke mir allerdings den Marquis eigentlich heller, geschmeidiger, leichter, gläubiger an seinen Stern, unschuldiger in seiner Laune [...].“
(Hermann Bahr: Marquis von Keith (Schauspiel in fünf Aufzügen von Frank Wedekind. Zur Aufführung am 29. April 1903 im Theater in der Josefstadt.). Zit.n.: Ders., Glossen. Zum Wiener Theater (1903-1906). Berlin 1907, S. 396)
Zur Inszenierung am Theater in der Josefstadt, Wien, 29.4.1903. Regie: Josef Jarno.
„Während man sein Lebenswerk feiert [...] will ich nur von e i n e r Szene sprechen [...], wie ich sie vor Jahren einmal - nur einmal - auf dem Theater sah.
[...] während Scholz seinem Jugendfreunde noch mit sanfter, toter Stimme zuredete, hatte sich eine ganz seltsame und extravagante Veränderung der äußeren Situation vollzogen. Der Marquis stand nicht mehr auf dem Fußboden. Er war mit seiner dicken Sohle rechts vorn auf den Schreibtisch geklettert, - oben auf der Platte stand er und hielt sich am Fensterkreuze fest!
Was sollte nun das? Nie hatte ich etwas Sonderbareres auf dem Theater gesehen! Es war ein Einfall des Regisseurs Wedekind; in seinem grund-wunderlichen Kopf hatte er es sich so ausgedacht. Schien ihm der Schreibtisch nicht fest genug, um sich daran festzuhalten? Mußte er hinauf, um sich oben ans Fensterkreuz zu klammern? Und gar so fest mußte er sich also halten?!
‚Geh! Geh!‘ stöhnte er. Und:
‚Komm, Komm!‘ erwiderte der Andere an der offenen Tür und winkte langsam-still mit dem ganzen Arm, - winkte gespenstisch und lockend in den Frieden, dorthin, wo man nur noch ‚spazieren fährt und Billard spielt‘ ... [...] Aber er hält sich fest, [...] er klammert sich fest dort oben an sein Fensterkreuz, er schreit endlich verzweifelt nach seinem Laufjungen, und der Versucher verschwindet.
- Nochmals, es ist eine ungeheuerliche Szene. In einem nichtssagenden modernen Zimmer wechseln zwei Männer in bürgerlicher Kleidung kurze und glasklare Repliken. Aber dahinter spukt ein Mysterium. Es ist das Mysterium der Abdankung.“
(Thomas Mann: [ohne Titel]. In: Das Wedekindbuch. Hrsg. u. mit einer Monographie von Joachim Friedenthal. München/Leipzig 1914, S. 215ff.)
Thomas Mann beschreibt die Münchner Inszenierung im Rahmen des Wedekind-Zyklus 1911, bei der Wedekind Regie führte.
„Herr Jeßner hat das Wesen des Stücks klar erkannt und seine Inszenierung ganz danach eingerichtet. Der szenische Rahmen, in dem er es spielt, ist ganz einfach. Keine Zimmerdekorationen, sondern zwei jedesmal auf einheitliche Farbe, Gelb oder Rot, gestimmte Räume, in denen nur die wirklich in der Handlung gebrauchten Möbel und Gegenstände sich finden. Das Schwergewicht [ist] auf den Dialog gelegt, auf die leichte Beschwingtheit von Rede und Gegenrede, die wie Federbälle hin und her fliegen. Das Tempo ist so schnell genommen, daß die fünf Akte in wenig über zwei Stunden vorübersausen. Diese Inszenierung verdient rückhaltlose Anerkennung. [...]
Das Publikum wußte sich schnell in die Eigenart des Stücks zu finden, lachte viel und herzlich und applaudierte lebhaft nach jedem Akt.“
(Carl Müller-Rastatt: Thalia-Theater. Hamburgischer Correspondent, 26.5.1914)
Zur Inszenierung am Thalia-Theater, Hamburg, 25.5.1914. Regie: Leopold Jeßner.