„Wie nun soll ein solches Drama gespielt werden? Daß gerade Wedekinds Stil die äußerste Klarheit der Diktion verlangt, ist sicher. Die Chöre am Schluß versagten darin, und es kann sein, daß die unruhigen Elemente im Publikum dadurch noch mehr gereizt wurden. Die Einzeldarsteller versagten nicht, und bis auf geringe Schwankungen gaben sie auch das Geistige dieses Stils, das eine so seltsam durcheinanderflutende Mischung von Burleske und Leidenschaft, von Clown- und Sehertum ist. In verschiedenen Färbungen, bestens abschattiert in Maske und Ausdruck, wurde das Antipathetische von den Philisterfürsten gebracht, von den Herren Herzfeld, Schroth, Ekert, Klein-Rohden und besonders von John Gottowt. Zum Pathos leitete der König Og über, den Wedekind selbst nie hätte spielen können, und der nun von Alexander Rottmann mit kluger Kraft gegeben wurde. Von Tilla Durieux als Delila sprach ich schon, (sie sah in dieser asiatischen Aufmachung vollends wie einer jener Frauenköpfe von Telannarna aus), und ich habe nur noch einmal zu unterstreichen, wie wohlverdient der Beifall war, der auf Friedrich Kaßlers Simsonhaupt niederging. Alles Edle dieses Künstlers war lebendig geworden, und alles, was er besitzt, um Leid und Sehnsucht auszusprechen. Und darüber hinaus hatte er im ersten Akt im spröden Erz seiner Stimme noch Töne des ironischen Kraftmeiertums und der Sinnenlust, die man gar nicht erhofft hatte.“
(Fritz Engel: Frank Wedekinds „Simson“. Uraufführung im Lessingtheater. Regie: Frank Wedekind. Berliner Tageblatt, 25.1.1914)
Zur Uraufführung am Berliner Lessingtheater, 24.1.1914. Regie: Victor Barnowsky.
„Dem zwiefachen unvermischten Stil des durchweg straff komponierten Werkes entsprechend, ist der Stil der Darstellung parodistisch-grotesk im Umkreis der feigen Philister, tragisch-monumental in der Zeichnung Simsons, den Kayßler mit einer tölpischen Wucht, einer bärenhaften Gewalt im ersten Akt, und dann mit einem Leidgefühl, mit einer innerlichen Schmerzensglut gibt, wie man sie aus diesem Ernstesten unter unseren Besten noch nie verspürte. Frau Durieux als Delila verläßt sich auf ihre, allerdings nie versagende Routine. Dem längst Bekannten fügt sie nichts Neues hinzu, sie ist einfach ‚glatte’ Schlange; das gibt ein kühles Gleißen. Für den Og von Basan hat Herr Rottmann eine morgenländische Pascha-Feistheit, die wie ein Abglanz von Emanuel Reichers Herodes blinkt.“
(Norbert Falk: Frank Wedekinds „Simson“. Aufführung im Lessingtheater. Berliner Zeitung am Mittag, 26.1.1914)
„Eine große Leistung ist der Simson Albert Steinrücks. Sehr schön verinnerlicht er das Stärke-Motiv, gibt eines Riesen Seele noch im geschwächten und gedemütigten Leibe. Für Wildheit, Ohnmacht, tiefste Not findet er Töne des Übermaßes, die wie natürlichste Musik eines gigantischen Herzens klingen; und seine Gesten, Schritte, Griffe scheinen oft Urlaute der Gebärdensprache. König der Philister: Herr Wedekind, komisch-opernhaft angetan und von einer überwältigend-antitheatralischen, steifen, pergamentnen Sachlichkeit. Ein Magistratsbeamter seines eigenen Ich. Wenn König Wedekind-Og von Basan etwa sagt: ‚Ich hasse Dich’, so klingt das so, als ob ein gleichgültiger, unpersönlicher Diurnist des Königs die Partei verständigte, der König lasse ihr mitteilen, daß er sie hasse. Eine sehr dekorative Delila: Frau Wedekind, mit inbrünstig-forciertem Gehorsam in alle Absichten des Dichters sich schickend. Ein Talent, dessen überheizte Schmächtigkeit jeden Augenblick zu explodieren droht.“
(Alfred Polgar: Wiener Premieren. Die Schaubühne 10, 1914, Bd. 1, S. 656.)
Zum Gastspiel am Wienere Johann-Strauß-Theater, 11.5.1914. Regie: Victor Barnowsky.
„Nun hat Wedekind es gewagt, in seinem gegenwärtigen Zyklus die mit Fußangeln und Fallstricken überreich bedachte Simson-Rolle selbst zu spielen, und, wie ich ehrlich bekennen muß, mir hat er damit einen höchst angenehmen Abend der Enttäuschungen bereitet, – der Enttäuschungen nach der guten Seite. Hatte ich schon aus den Aufführungen von ‚Marquis von Keith’ und ‚Erdgeist’ den Eindruck gewonnen, daß sich dem Dichter-Darsteller die Geheimnisse schauspielerischer Technik immer mehr entschleiern, so stehe ich nun nicht an zu bekennen, daß mir die Simson-Darstellung als der Gipfel dessen erscheint, was Wedekind als Schauspieler überhaupt erreichen kann. Gewiß hat man nie das Gefühl, daß er die Gestalt von innen heraus schafft; vielmehr bleibt immer das Empfinden einer gewissen Distanz, und es scheint etwa so, als stände der Schöpfer seinem Geschöpf gewissermaßen mit pädagogischen Absichten und Zielen gegenüber, als wollte er an ihm noch in jedem Augenblick bilden und modellieren. Aber gerade dieser Eindruck, als sei der Dichter mit der Gestalt noch nicht fertig geworden, als bekomme er mitten im Versuch, sie darstellerisch zu verlebendigen, neue Lockung, sie auch dichterisch noch weiter auszugestalten, ist für den Betrachter äußerst reizvoll, ist etwas Neues, das auch die genialste Kunst des nachbildenden Schauspielers nicht entfalten kann. Im übrigen aber gibt auch dem, der lediglich auf die schauspielerische Gestaltung sieht, Wedekinds immer wachsende Bühnensicherheit eine ausreichende Illusion, und wo wirklich das Ausdrucksvermögen sich als nicht zulänglich erweist, da ist doch seine herbe, strenge Sachlichkeit imstande, das Fehlende zu ergänzen und des Dichters Absicht deutlich zu machen.“
(Franz Köppen: Kunst und Wissenschaft. Wedekind als „Simson“. (Kammerspiele.). Berliner Börsen-Zeitung, 22.6.1916)
Zum Wedekind-Gastspiel in den Kammerspielen des Berliner Deutschen Theaters, 21.6.1916. Regie: Frank Wedekind.