„Am hiesigen Schauspielhaus wurde heute Frank Wedekinds neues, noch unaufgeführtes Drama ‚So ist das Leben‘ zum ersten Mal gespielt. Es war ein stürmischer Abend, wie er wohl seit den Tagen der Berliner freien Bühne im deutschen Theaterleben nicht mehr vorgekommen ist. Mit einer – nicht nur in München unerhörten Heftigkeit platzten die Gegensätze im Publikum aufeinander und noch eine Viertelstunde nach Schluß des Stücks setzten sich die Demonstrationen für und wider den Dichter im Zuschauerraum fort. Um ein Haar wäre es zu Thätlichkeiten gekommen. Wedekind erschien nach dem Fallen des eisernen Vorhangs in der Direktionsloge, von den Einen leidenschaftlich gefeiert, von den Andern ebenso leidenschaftlich mit Pfeifen u. Zischen bekämpft. …
Es steckt ein gut Stück eigenen blutwarmen Lebens- u. Künstlerschicksals in dem merkwürdigen, interessanten u. nachdenklichen Drama, das auf den ersten Anschein so fernab von den Interessen unserer drängenden Gegenwart führt.
Das hiesige Schauspielhaus hat sich ein großes Verdienst mit der Einführung der Dichtung erworben. Mögen die deutschen Bühnen nun zeigen, daß sie nicht nur dem klugen tantiemenreichen Talente, sondern einmal auch dem im Narrengewande daherkommenden Genie Unterkunft bieten.“
(Max Halbe. Kritik zu Uraufführung. München, 23.2.1902. Monacensia. Nachlass Max Halbe L 3049)
Zur Uraufführung am Münchener Schauspielhaus. München, 22.2.1902. Regie: Georg Stollberg.
„Endlich einmal ein künstlerisches Bekenntnis nach dem dekadenten Gestammel unserer neuesten Seelenzerpflücker, endlich eine Weltanschauung nach den dramatisierten Gartenlaubenromanen unserer alljährlich wiederkehrenden Bühnendichter, endlich ein Höhenflug über die dramatisierten Nichtigkeiten des Alltagslebens.“
(Josef Ruederer: So ist das Leben. Uraufführung im Münchener Schauspielhaus. Der Tag, 27.2.1902).
„Das Werk fand im Neuen Theater eine, seine naiv-bildhafte, schnurrig-groteske Art mit feinstem Verständnis herausarbeitende prächtige Darstellung. Nur erging es Wedekind mit seinem Publikum fast noch schlimmer als seinem König Nicolo: Es wagte bei seinen Späßen nicht herzhaft zu lachen, weil es den versteckten Hohn fürchtete, und seinem Ernst schien es erst recht nicht trauen zu wollen.“
(Efraim Frisch: „So ist das Leben“ von Frank Wedekind (Neues Theater). Das Theater 1, 1903/04, S. 80)
Zur Aufführung im Neuen Theater Berlin, 27.11.1903. Regie: Richard Vallentin.
„Den Nicolo spielte der Dichter selbst. Wedekind hält es für notwendig, daß er ‚bei dem heutigen Stande der Schauspielkunst‘ sein eigener Interpret ist, und es ist ja klar, daß neue Aufgaben der Dichtkunst nicht immer mit den alten Bühnenmitteln zu bewältigen sind. Man hat Wedekind oft als ‚Schauspieler-Dilettanten‘ bezeichnet. In bezug auf seine Mittel wohl mit Recht. Denn seine Sprechkunst ist mangelhaft, und da er oft auch zu wenig Ton gab, war er selbst in dem kleinen Hause nicht immer voll verständlich. Wenn aber schlichte Innerlichkeit und die Illusion eines echten Hervorbringens den Künstler macht, so ist Wedekind auch als Schauspieler in seinen besten Momenten Künstler. Wenigstens respektierte man ihn, wenn auch die Schauer des Erhabenen, die wir leise an einzelnen Stellen verspürten, mehr vom Dichter als seinem Darsteller kamen. Interessant blieb aber sein Spiel von Anfang bis zu Ende, und es bot einen eigenen Genuß, dieses zerarbeitete Antlitz mit den fanatisch flackernden Augen immer wieder zu studieren.“
(Ludwig Goldstein: Kritik zur Aufführung. Königsberger Hartungsche Zeitung, 2.11.1911.
Zur Aufführung in Königsberg am Neuen Schauspielhaus, 1.11.1911. Leitung: Leopold Jessner.